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10.05.2024

Theologin Gosebrink: „Wir müssen unsere Bilder von Pfingsten korrigieren“

„Ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft“ lautet das Thema eines Online-Bibelabends des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB) im Bistum Eichstätt am Mittwoch, 15. Mai. Referentin ist die Theologin Hildegard Gosebrink, Leiterin der Arbeitsstelle Frauenseelsorge der Freisinger Bischofskonferenz. Im Interview spricht sie über die Bedeutung von Pfingsten für die Kirche heute und ist überzeugt: „Das, was Frauen tun, hat königliche und priesterliche Würde.“

Frau Gosebrink, die KDFB-Einladung zu Ihrem Online-Vortrag stellt die Frage „Wir alle sind Könige und Priester?“ und gibt als Antwort: „Zu schön, um wahr zu sein“. Kann diese Zusage aus der Lesung zu Pfingsten überhaupt verwirklicht werden oder verspricht die Bibel da einfach zu viel?

Hildegard Gosebrink: Dass das ganze Volk aus Königen und Priestern, Königinnen und Priesterinnen besteht, ist ein Zitat aus dem Buch Exodus (19,6) – genau der Bibelstelle, um die es am 15. Mai geht. Der Zusammenhang ist der Bundesschluss zwischen Gott und seinem Volk am Sinai. Da findet schon alttestamentlich eine „Demokratisierung“ statt, wenn am Sinai alle Könige und Priester sind. Das ist ja völlig entgegen der altorientalischen Gesellschaftsstrukturen. Die frühen Christinnen und Christen haben diese Vorstellung aufgegriffen. Sie waren davon überzeugt, dass sie Gottes Volk sind – und dass alle Getauften königliche und priesterliche Würde und Aufgaben haben. Davon zeugt unter anderem der erste Petrusbrief im Neuen Testament (1 Petr 2,9 zitiert Ex 19.6). Sie glaubten: Das liegt an unserer Taufe. Daran hat sich seit dem Neuen Testament nichts geändert. Die Überzeugung vom Priestertum aller Getauften ist älter und grundsätzlicher als die Entstehung von „Priestern“ auf der einen, „Laien“ auf der anderen Seite.

Sie wollen an dem Online-Pfingstabend den Frauen Mut machen. Glauben Sie, dass Frauen in der katholischen Kirche eines Tages Priesterinnen werden können?

Ich glaube, dass es gut ist, Frauen Mut zu machen, unabhängig von der Frage, ob und wann es einmal geweihte Priesterinnen geben wird. Wie sähe es in unserer Kirche aus ohne das Engagement von Frauen? Wahrgenommen werden als „Kirche“ vor allem die Kleriker, also nur Männer – sowohl von außen als oft auch von innen. Dabei sind zum Beispiel meistens Frauen Trägerinnen der religiösen Erziehung in der Familie und auch in der Pfarrei – Stichwort „Sakramentenkatechese“. Sie verkündigen den Glauben. Ich erlebe oft, dass da von „Mithelfen“ die Rede ist, obwohl Frauen Entscheidendes leisten und nicht nur „mithelfen“. Ich finde wichtig, sich immer wieder klar zu machen, dass das, was Frauen tun, gemäß Ex 19,6 und 1 Petr 2,9, königliche und priesterliche Würde hat.

Warum tun sich die entscheidenden Männer in der Kirche noch so schwer mit den Fragen um die Rolle der Frau in der Kirche?

Ich kann leider nicht für die „entscheidenden Männer“ antworten. Aber wenn Sie fragen „Warum tun sich die Männer ‘noch‘ so schwer“, dann lässt das „noch“ ja hoffen, dass wir da noch einiges zu erwarten haben. Ich selber spreche inzwischen ungerne von „der“ Rolle „der“ Frau im Singular. Die Würzburger Synode benennt schon 1975 eine Vielfalt von Rollen von Frauen, das ist bald 50 Jahre her. Papst Franziskus bestätigt diese Vielfalt übrigens 2016 in „Amoris Laetitia“ in den Kapiteln über die Erziehung. Frauen und Rollen gibt es auch in der Realität der Kirche nur im Plural.

Pfingsten spielt laut Einladungstext zu Ihrem Vortrag eine wichtige Rolle in der „Volk-Gottes-Theologie“ des 2. Vatikanischen Konzils. Hat das Volk Gottes überhaupt etwas zu sagen in den entscheidenden Zukunftsfragen der Kirche?

Die Volk-Gottes-Theologie des letzten Konzils ist inspiriert durch die Bibelstellen Exodus 19,6 und erster Petrusbrief 2,9. Die zentrale Lesung am Pfingsttag kommt aus dem Buch Apostelgeschichte (2,1-11). Die Apostelgeschichte ist – wie der erste Petrusbrief – davon überzeugt, dass die alttestamentliche Überzeugung, alle seien Volk Gottes, auf das der Geist kommt, durch die Taufe Wirklichkeit ist. In unserer Vorstellung kommt der Geist an Pfingsten oft nur auf die Apostel und Maria, weil jahrhundertelang vor allem diese 13 Personen dargestellt wurden. Wenn wir aber genau lesen, ist in der Apostelgeschichte (1,13-14) die Rede von den Aposteln, Maria und „den Frauen“, die an Pfingsten zusammen waren. Biblisch ist also ganz eindeutig, dass die Bilder, die wir im Kopf haben, zu korrigieren sind.

Ich glaube, dass das Volk Gottes viel zu sagen hat und schon immer gesprochen hat und auch heute spricht. Vielleicht nicht immer mit Worten. Aber wer aufmerksam hinhört und hinschaut, wie sich die Menschen verhalten, was für sie relevant ist und was nicht, was ihnen hilft und was nicht, was sie lebendiger macht und was langfristig Glaube, Hoffnung und Liebe wachsen lässt – der und die kann hören, was das Volk Gottes sagt.

Die „Volk-Gottes-Theologie“ kann helfen, „festgefahrene klerikale Strukturen zu überwinden“, heißt es weiter in der Einladung. Wie meinen Sie das?

Wir können in der Kirche auf Fragen und Antworten stoßen, die klären, wer was darf und was nicht. Dafür gibt es bestimmt gute Gründe. Wenn wir aber davon ausgehen, dass wir alle Volk Gottes sind mit königlicher und priesterlicher Verantwortung und Würde, dann können wir zuerst fragen: Wer kann was? Nicht jeder und jede kann alles. Oft erleben wir Scheuklappen, „weil es schon immer so war“. In vielen kirchlichen Bereichen gibt es Ansätze zu einer „charismenorientierten“ Pastoral. Da gibt es sehr viele Möglichkeiten und Spielräume, auch kirchenrechtlich betrachtet: was Leitungsmodelle, Gottesdienstformen und so weiter angeht. Da braucht es Unvoreingenommenheit und Kreativität für neue Lösungen.

Sie werden in Ihrem Vortrag auch auf die Verwandtschaft von Shavuot und Pfingsten eingehen. Welche Parallele gibt es zwischen beiden Festen?

Shavuot, das jüdische Wochenfest, wird am 50. Tag nach Pessach gefeiert. Als der Tempel in Jerusalem noch stand (er wurde 70 n.Chr. durch die Römer zerstört), war es eines der Wallfahrtsfeste, an denen Juden und Jüdinnen aus dem ganzen Land zum Tempel nach Jerusalem kamen. Daher sind die Jünger und Jüngerinnen Jesu am 50. Tag nach Pessach in Jerusalem versammelt. Unser Wort Pfingsten kommt übrigens vom „pentekoste“, dem griechischen Wort für 50.

Außer dem 50. Tag gibt es noch eine Gemeinsamkeit: Eine der zentralen Bibelstellen im jüdischen Gottesdienst an Shavuot ist Ex 19, die Erinnerung an den Bundesschluss am Sinai. Der Bundesschluss in Ex 19 ist in unserer katholischen Liturgie eine der Lesungen für den Vorabend von Pfingsten – und daher Thema für den Online-Bibelabend am 15. Mai. Dieses Jahr lag das jüdische Pessach-Fest wesentlich später als unser Osterfest. Daher ist auch Shavuot später als unser Pfingstfest, nämlich erst am 12. Juni.

Der Heilige Geist, der am Pfingstfest im Mittelpunkt steht, ist für viele Christinnen und Christen schwer zu fassen. Greifen die alten biblischen Bilder von Feuerzungen und Brausen des Sturmes nicht mehr?

Ich glaube, dass gerade die Bibelstellen, die Pfingsten im Zentrum stehen, hilfreich sind. Letztes Jahr hatten wir mit dem KDFB Eichstätt einen Bibelabend zum Buch Ezechiel, Kapitel 37: Das ist eine Vision in einer aussichtslosen Situation – auf einem Gräberfeld werden Tote lebendig. Ein starkes Bild, auch angesichts der vielen Erfahrungen in unserer Gesellschaft und Kirche, wo es so aussieht, dass nichts mehr weitergeht.

Heuer geht es um Exodus 19 und damit um den Bund zwischen Gott und seinem Volk. In dieser Lesung findet sich die schöne Vorstellung, dass Gott selbst sein Volk auf Adlerflügeln trägt und zu ihm (Gott) bringt (Ex 19,4). Also nicht wir müssen uns auf einen anstrengenden Weg machen, um Gott zu finden. Sondern er selbst sorgt dafür, dass wir zu ihm kommen. Das ist doch eine tolle Zusage! Es braucht Hilfen, diese uralten Bilder heute zum Leuchten zu bringen – etwa in der Predigt oder in Bildungsangeboten.

In der biblischen Tradition kommt das Wirken des Heiliges Geistes bei den Menschen in sieben Gaben zum Ausdruck: Weisheit, Einsicht, Rat, Stärke, Erkenntnis, Frömmigkeit und Gottesfurcht. Welche dieser Gaben ist für Sie persönlich die Wichtigste und welche sehen Sie am stärksten am Werk auf den Entscheidungsebenen der Kirche?

Ich hoffe, dass der Heilige Geist mit all seinen Gaben in der Kirche am Werk ist. Die sieben Gaben des Geistes gehen auf das Buch Jesaja (11,2) zurück. Das heißt, sie verbinden uns mit Jüdinnen und Juden und mit Christen und Christinnen aller Konfessionen. Der Zusammenhang ist eine vorausgegangene Katastrophe, das Bild dafür ist ein Baumstumpf, der Rest eines abgehauenen oder umgeknickten Baumes. Aber aus diesem Baumstumpf wächst ein zarter Zweig. Und über diesem Zweig schwebt der Geist mit seinen Gaben. Ich finde dieses Bild sehr ermutigend, sehr österlich: Wo alles zu Ende scheint, wächst behutsam etwas Neues, ausgestattet mit ganz viel Power.

Pfingsten ist ein Fest der gelingenden Verständigung und steht für Aufbruch statt Stau. Der Heilige Geist gilt als göttliche Kraft der Veränderung. Wo sehen Sie aktuell Zeichen von Aufbrüchen in der katholischen Kirche?

Das Wort „Aufbrüche“ höre ich so oft, dass ich es für mich selber anstrengend finde. Vielleicht besteht der Aufbruch ja einfach darin, dass wir in der katholischen Kirche das sehr gut weitermachen, wozu wir da sind: Menschen begleiten in Freude und Hoffnung, Trauer und Angst, an den Schwellen ihres Lebens, mit Gebet und heilsamen Zeichen. Wir sind unaufdringlich da in Krankenhäusern und Schulen. Es ist bleibende Herausforderung, dass wir die säkulare Realität anerkennen und in der Bildungs- und Beratungsarbeit das Unsere tun, um zu einer reflektierten und diskursfähigen religiösen Identität beizutragen, dass wir für einen anderen Lebensstil eintreten (und ihn selber leben), für Frieden und Gerechtigkeit – in Solidarität mit denjenigen, deren Stimme sonst niemand hört. Ich finde es zum Beispiel hoffnungsvoll, wie deutlich und einmütig unsere Verbände und Bischöfe sich gegen den Rechtsruck in der Gesellschaft positionieren und menschenverachtende Tendenzen in der Migrationspolitik kritisieren. Es ist wichtig, dass wir da gemeinsam an einem Strang ziehen und nicht schweigen!

Vielen Dank!

Die Fragen stellte Geraldo Hoffmann
 

Hinweis:Anmeldung zum Online-Bibelabend am 15. Mai, ab 19 Uhr, bei der KDFB-Geschäftsstelle, Tel. (08421) 50-673, E-Mail: info@frauenbund-eichstaett.de

 

Zur Person
Dr. Hildegard Gosebrink hat Theologie und Philosophie in Bochum, Jerusalem und Würzburg studiert und ist zudem ausgebildete systemische Supervisorin. Ihre Promotionsarbeit schrieb sie über die Benediktinerin Hildegard von Bingen („Maria und Schöpfungstheologie“). Von 2001 bis 2011 war sie Referentin für Theologie und Spiritualität im Kardinal-Döpfner-Haus auf dem Freisinger Domberg. Anschließend leitete sie bis 2016 das Martinushaus Aschaffenburg, ein Zentrum für Bildung-Beratung-Seelsorge des Bistums Würzburg. Seit 2016 ist sie Leiterin der Arbeitsstelle Frauenseelsorge der Freisinger Bischofskonferenz.

Die Arbeitsstelle Frauenseelsorge ist eine Einrichtung der sieben bayerischen (Erz-)Bistümer, also Augsburg, Bamberg, Eichstätt, München und Freising, Passau, Regensburg, Würzburg. Sie unterstützt die Bischöfe, die Seelsorgeämter und die Frauenseelsorgerinnen in den sieben (Erz-)Diözesen, außerdem die Frauenverbände und die Ordensfrauen.